Die präoperative Beratung im Rahmen der Prostatektomie ist nach wie vor eine sehr junge Entwicklung, die längst noch nicht in allen Krankenhäusern angekommen ist. Grund dafür war lange Zeit das Bedenken vonseiten der Krankenhäuser, Patienten könnten infolge ihrer Aufklärung eine spontane Angst vor ihrer OP entwickeln und sie infolgedessen ablehnen. Dass diese Sorge nicht nur unbegründet, sondern die Beratung sogar im Gegenteil in den allermeisten Fällen vielmehr ein Gefühl von Sicherheit anstelle von Angst vermittelt, erklärt Kontinenz- und Stomapflegerin Eva Semijalac in ihrem Interview mit PATIO.
Wer sind Sie?
Ich bin eine diplomierte Gesundheitskrankenschwester mit der Zusatzausbildung als Kontinenz- und Stomaberaterin. Ich mache das seit 1990 (damals auf der Neurologie) bzw. seit 1998 als Stoma-Schwester.
Was macht eine Kontinenz- und Stomaberaterin?
Kontinenz- und Stomaberaterin ist jemand, die die Leute berät; die sie schult; all jenen, die Harn- und Stuhlproblematiken aufzeigen oder die künstliche Ausgänge für Stuhl- und Harn bekommen.
Welchen Herausforderungen stellt man sich als Kontinenz- und Stomaberaterin?
Es ist ganz schwierig, weil jede:r anders ist. Man sieht den Patienten die Belastung an, dass sie ihre eigene Harnausscheidung nicht mehr selbst bestimmen können – dann wird’s schwierig vor allem für die Patienten selber, teils, weil sie sich in ihre früheste Kindheit zurückgesetzt fühlen.
Wenn Sie an einen schwierigen Patienten denken, woran denken Sie?
Ich hab‘ eigentlich keine schwierigen Patienten, nein. Ich fange die Patienten dort auf, wo sie sich gerade befinden und versuche, sie wieder auf ihren Lebensweg zu bringen. Die Patienten sind eigentlich nie schwierig… oder ganz selten! Die Situation sehr wohl, insofern, als dass sie emotional belastend ist.
Was geht in den Patienten nach der Diagnose vor?
„Das Leben ist vorbei. Ich kann nicht mehr bei der Haustür raus, kann nicht arbeiten gehen und keinen Sport mehr treiben.“
Wie können Sie Patienten mit Inkontinent konkret unterstützen?
Erstens indem wir beratend einwirken und aufzeigen, dass es eben auch Hilfsmittel gibt. Insbesondere für die Erstphase, damit sie sich wirklich normal kleiden können; damit sie das Haus verlassen können; dass man etwas dagegen tun kann – mit Beckenbodentraining oder Elektrostimulation – es gibt viele Dinge, die man gegen Inkontinenz tun kann. Aber man muss das Ganze langsam auf den Weg bringen, und das dauert halt einfach Zeit bis das wirkt. Beckenbodentraining ist nicht mit zwei Mal Üben vollendet.
Wie lange dauert Beckenbodentraining?
Am besten, wenn Sie wirklich in eine richtige Gruppe gehen für Beckenbodentraining; dass sie konsequent diese Übungen machen und es kommt auch ganz darauf an, welche Ursache die Inkontinenz hat. Man kann auch vor der OP bereits Beckenbodentraining machen, damit der Schließmuskel schon im Vorhinein trainiert ist.
Was können Patienten tun, um vor/nach einer OP fit zu sein?
Es gilt all das, was auch für jeden gesunden Menschen gut ist. Viel Bewegung, gute Ernährung und Beckenbodentraining, kann man in jedem Alter durchführen.
Was nützt Beckenbodentraining?
Dass der Schließmuskel kräftig bleibt, es fördert die Durchblutung und somit wieder auch die Potenz. Es bringt immer etwas, beiden Geschlechtern, in jedem Alter.
Worauf können Patienten mit Inkontinenz in ihrem Alltag konkret achten?
Die konkreten Tipps sind: Beim Heben immer in die Knie gehen, den Rücken schonen und bevor man wieder aufsteht, während des Ausatmens den Beckenboden anspannen, so wie wenn man den Harnstrahl zurückzuhalten versucht.
Kann Niesen und Husten für Patienten zum Problem werden?
Wenn sie eine Belastungsinkontinenz haben schon. Das haben viele Frauen schon im jungen Alter oder nach Geburten – immer dann, wenn der Schließmuskel einfach zu schwach ist. und auch Prostatakrebsbetroffene haben oft diese Belastungsinkontinenz.
Wofür wird Elektrostimulation eingesetzt?
Elektrostimulation kann man sowohl für Belastungs- als auch für Dranginkontinenz einsetzen. Dafür gibt’s unterschiedliche Elektroden, Penisklebeelektroden, Vaginalelektroden, Analelektroden, je nachdem – und dann kann man das einfach einstellen. Mittlerweile gibt’s auch Geräte mit Biofeedback, die wirklich auch aufzeichnen, wie hoch die Anspannung ist und wie gut Betroffene entspannen können.
Gibt es nach wie vor gängige Missverständnisse, die aufgeklärt werden sollten?
Ein Missverständnis ist, dass Patienten denken, es wäre effizientes Beckenbodentraining, wenn sie auf die Toilette gehen und ständig zwischendurch den Harnstrahl unterbrechen würden. Das hat man früher gemacht und sollte man heute nicht mehr. Stattdessen macht man heute Trockentraining im Sitzen oder Liegen – Frauen ab 40 eher im Liegen mit einem Polster unterm Hintern – kann den Beckenmuskel anspannen, für drei bis vier Sekunden halten, und wieder gut entspannen. Das ist eine einfache Übung. Aber nicht, wenn man auf eine Toilette geht, den Harnstrahl laufen lässt und dazwischen ständig stoppt. Das macht man heute nicht mehr, das ist ein Irrglaube, da es früher mal Empfehlung war. Man hört selbst heute noch immer wieder irgendwo davon. Es kommt immer wieder auf, unter anderem sogar bei Hausärzten, die noch auf veraltetem Wissensstand sind.
Wie sieht eine präoperative Inkontinenz-Beratung aus?
Wir haben es jetzt zumindest bei uns hier im Haus so, dass die Patienten, die eine Prostata-OP haben, auch präoperativ eine Beratung bekommen, wo sie Übungen lernen, den Beckenboden schon ein wenig trainieren und gegebenenfalls bereits im Voraus eine Verordnung für Inkontinenz-Einlagen erhalten und damit sie das Equipment bereits zuhause vorbereitet und einen Ansprechpartner mit Telefonnummer haben. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass nicht alle Prostata-operierten Patienten oder die eine Prostata-OP vor sich haben, inkontinent sind. Das hängt u.a. sehr viel davon ab, wie nervenschonend operiert werden kann und wie gut der Beckenboden bereits im Vorhinein trainiert ist. Es gibt insgesamt viele Faktoren, die bestimmen, ob Betroffene Harn verlieren oder nicht. Wichtig ist einfach, jedem Patienten Ansprechpartner zu geben, an die sie sich wenden können, sollte ein Problem dahingehend auftreten.